1982 Südfrankreich
Überfall à la Hitchkock
Im Herbst muss es gewesen sein, als ich mit Kathrin zu meinem allerersten «Roadtrip» startete. Mein Freund vertraute uns seinen roten Alpha Romeo GTV an. Ferien, Freiheit – das Abenteuer rief.
Ein Ziel hatten wir noch nicht festgelegt, als wir uns im Tis (Atlantis) in Basel trafen. Wir entschieden uns für Südfrankreich. Gegen Abend suchten wir am Meer ein Hotel. Doch die Orte wirkten wie Geisterstädte, alles war geschlossen zum Saisonende. In einem Städtchen erblickten wir ein geöffnetes Restaurant und genehmigten uns einen Apero. Wir fragten den jungen Mann an der Theke, ob er eine Unterkunft kenne. Es sei alles geschlossen, doch er könne uns seinen Caravan anbieten. Dankbar nahmen wir an und fuhren hinter ihm her durch die Dünen, an unzähligen verwaisten Campingplätzen vorbei, bis er in seinen einbog. Er öffnete das Holzgatter und wir standen an einem wunderbar romantischen Ort. Mehrere Caravans standen in einem Kreis, dazwischen graste ein Schimmel. Wir bezogen unser «Haus», richteten uns gemütlich ein und nahmen ein Bad im nahen Meer. Der Besitzer kam mit seinem jungen Kollegen zurück, brachte uns ein Radio und fragte nach weiteren Wünschen. Später fuhren wir in die Stadt, kauften Brot, Käse und Wein – ein herrlicher Znacht im Caravan!
So romantisch! Vollmond, rauschender Wind, der Schimmel vor dem Fenster – oh, wo war er? Wir sahen das offene Tor und das Pferd ausserhalb des Geländes. Wir versuchten es zum Rückkehr zu bewegen, doch vergebens. Wir lockten mit frischen Gräsern, doch kaum schnappte es danach, lief ich ängstlich davon. Schliesslich fuhren wir ins Restaurant und informierten den Besitzer. Er fuhr mit uns zum Caravan, führte das Pferd auf seinen Platz und verschwand.
Entspannt legten wir uns schlafen. Da meinte Kathrin, sie höre jemanden. Ich dachte, sie ängstige sich ein wenig und bilde sich das ein. Ich legte mich wieder hin, doch Kathrin hörte noch immer Stimmen. Irgendwann sagte sie, ein Mann habe sich hinter dem Schimmel versteckt dem Caravan genähert. Fast musste ich schmunzeln, denn ohne Linsen sah Kathrin sehr schlecht. Doch inzwischen konnte ich auch nicht mehr schlafen und setzte mich im Bett auf. Kathrin lag gegenüber, über beiden Betten war ein langes Fenster. Hinter jenem bei Kathrin entdeckte ich den Schatten eines Kopfes, der sich bewegte. Ich dachte, das muss meiner sein. Sofort überprüfte ich das, indem ich meinen Kopf hin und her bewegte. Doch der Schatten blieb starr. «Kathrin, ich glaube, da ist wirklich jemand!» «Das sage ich ja schon lange!»
Erst schloss ich das Fenster hinter meinem Bett. Auf der anderen Seite schauten wir vor zur Türe des Caravans. Da standen geduckt zwei Gestalten. Einer antwortete sofort. Er wolle unser Sklave sein. Ojee! Ich sass auf meinem Bett, weit weg von der Türe und versuchte ihn zu beruhigen – oder mich? Wo er wohne, wie er heisse, ….. Kathrin hingegen rüstete zum Kampf, stellte die Weinflasche griffbereit zum Zuschlagen, öffnete das Taschenmesser, setzte ihre Linsen ein und riss den Kochherd aus der Wand und stellte ihn vor die Türe. Ich bewunderte sie. In meinem Eckchen fühlte ich mich sicher, zur Tür vor hätte ich mich nie getraut. Und plötzlich schlug diese nach aussen auf. Zwei Männer stürmten hinein, die Pullover oder Masken über das Gesicht gezogen. Der Grosse warf Kathrin auf ihr Bett und sprang auf sie, der Kleine stand regungslos da und schaute zu. Ich wollte Kathrin helfen, doch der Grosse packte mich am Arm (er schmerzte noch tagelang) und stiess mich weg. Beim zweiten Versuch riss er mir ein Bündel Haare aus. Der Kleine stand regungslos da. Ich schrie ihn an, er solle doch meiner Freundin helfen. Doch er hatte wohl selber Angst. Das war wohl unser Glück, denn plötzlich liess der Grosse von Kathrin ab und beide stürmten hinaus.
Kathrin sagte: komm schnell, wir hauen ab! Doch ich wollte erst zusammenräumen und draussen die Wäsche von der Leine holen. Unglaublich, wie man in Stresssituation unmöglich ticken kann. Kathrin war entschlossen, zog mich zur Türe. Wir schauten ins Dunkle, nach links und nach rechts. Niemand da. Ca. 20 Meter zum Auto. Ich hätte mich alleine nie aus diesem Caravan getraut. Drinnen fühlte ich mich irgendwie sicher. Zusammen stürmten wir zum Auto, schlossen uns ein und ich fuhr weg. Nun hielt uns nur noch das geschlossene Tor auf. Kathrin war so mutig und ging es öffnen. Ich hätte mich nicht aus dem sicheren Auto getraut. Ich hiess sie draussen sogar noch, das Tor wieder zu schliessen. Unglaublich! Wir liessen es offen und brausten davon Richtung Autobahn.
Wir wollten zur Polizei, fanden jedoch den Posten nicht. So fuhren wir durch bis zum Morgen, nach Saintes-Maries-de-la-Mer. Wir buchten einen Ausritt – das liess uns entspannen und beruhigte. Zumindest mich. Ich wurde auch nicht tätlich angegriffen. Kathrin hingegen erschrak manchmal plötzlich, z.B. wegen einem Passanten. Bei einem Hotel musste ich mit dem Auto so vor den Eingang fahren, dass sich die Türe direkt ins Haus öffnete. Als wir mal versehentlich mit dem Lift ins Untergeschoss fuhren, die Tür sich öffneten und davor im Dunkeln ein Mann mit Aktenkoffer vor uns stand, fingen wir an zu schreien.
Letztlich ging unser Abenteuer glimpflich aus. Oft stellte ich mir vor: Wenn uns die beiden Männer hätten verschwinden lassen, ….. Niemand von unseren Familien wusste, in welche Richtung wir gefahren sind.